bassica

Hin und wieder forsche und schreibe ich über mein Instrument und über Stücke, mit denen ich mich beschäftigt habe oder gerade beschäftige. Diese Texte spiegeln meine Erfahrungen, geben Einblicke in weniger bekannte, zumeist zeitgenössische, Literatur, bieten Analysen und Hilfestellung aus der Sicht einer Interpretin.

** mehr bassica gibt es auch auf meiner Seite http://unlearningbass.tumblr.com/ **
Lotofagos (2009) von Beat Furrer für Sopran und Kontrabass
ist eines der herausragenden Werke der zeitgenössischen Kammermusik für Kontrabass. Als Einzelwerk konzipiert, fand es später Eingang in Furrers Oper „Wüstenbuch“ (2010). Gemeinsam mit Frauke Aulbert hatten wir in einem Lecture Recital dieses Werk präsentiert. Vor Kurzem habe ich diese Auseinandersetzung in einem Paper nochmals aufgegriffen und veröffentlicht im Magazin „seiltanz“. Dabei kommen aufführungspraktische Anforderungen genauso zur Sprache wie Fragen der Theatralik und Sprachnähe von Furrers Kompositionsstil.


„Theraps“ (1979) von Ianns Xenakis für Kontrabass solo

gehört zu den technisch wie physisch und mental herausforderndsten Werken für Kontrabass. Es gibt nur wenige Performer, die sich dieser Anforderung stellen. Beim diesjährigen PERFORMA-Konferenz/Festival in Aveiro, Portugal, hatte ich meine Auseinandersetzung mit diesem Werk in einem Lecture Recital präsentiert. Mein Vortrag ist jetzt online zu finden auf academia.edu.

Giacinto Scelsi – „Le Reveil Profond“ aus: Nuits für Kontrabass Solo

Giacinto Scelsi gehört zu den „bekanntesten Unbekannten“ in der Musikgeschichte des 20. Jahrhunderts. Obwohl sein Werk in den vergangenen Jahrzehnten eine Renaissance erfahren hat, existieren über sein Leben und seine Musik bis heute wenig konkrete Forschungsansätze. Bekannt wurde er vor allem durch seine eigenwilligen Kompositionen, die sich oft auf wenige Töne beschränken, mit Klangfarben und Obertönen spielen und sich eher an indische oder ostasiatische Musikstile anlehen als an klassische Form- und Gestaltungsmuster. Scelsis Musik konkret in Worte zu fassen fällt schwer. Sie scheint sich jeder Beschreibung zu entziehen, umso mehr, je länger man sich mit ihr auseinandersetzt.

Scelsi hat in seinem kompositiorischen Schaffensprozeß mehrere völlig verschiedene Vorgehensweisen angewandt: Zum Einen improvisierte er am Klavier oder auf der Ondiola, einem elektronischen klavierähnlichen Instrument, und überließ es seinen Mitarbeitern, die Aufnahmen dieser Improvisationen niederzuschreiben und zu transkribieren. Zum Anderen pflegte er intensiven Kontakt zu einigen Interpreten, wie etwa der Sängerin Michiko Hirayama oder zur Cellistin Frances-Marie Uitti, für die er speziell Solowerke schuf.

Dank Scelsis Zusammenarbeit mit den Kontrabassisten Joëlle Léandre und Stefano Scodanibbio entstanden ab den 70er Jahren auch einige Solo- und Kammermusikwerke für Kontrabass, welche eine große Bereicherung für das zeitgenössische Repertoire dieses Instruments darstellen.

Der zweiteilige Zyklus „Nuits“ – „Nächte“ für Kontrabass solo von 1972 unternimmt gleichsam eine Reise in den Klang des Kontrabasses. Die beiden Teile, „C´est bien la nuit“ und „Le reveil profond“ umkreisen beide als klangliches Zentrum den Ton F und erforschen unter Einbeziehung verschiedener Register und Spieltechniken den musikalischen Raum, der sich in den vielfältigen Schwebungen und Resonanzen auftut.

Die Titel der beiden Stücke, relativ „konkret“ im Gegensatz zu den Sanskrit-ähnlichen Bezeichnungen anderer Werke Scelsis, sind dabei als Assozioationsfeld zu verstehen: „Nacht“ und „Dunkelheit“ als Analogon zu dunkel und hell im Klang, dazu noch der Traum-ähnliche fließende Zustand, den die beiden rhythmisch freien Stücke heraufbeschwören, geben vielleicht einen Anhaltspunkt dazu. Scelsi selbst hat sich meines Wissens nicht dazu geäußert.

In beiden Stücken verwendet Scelsi eine Scordatur, um einen speziellen Klangcharakter zu erreichen. Ich möchte mich hier im Folgenden auf das zweite Stück des Zyklus, auf „Le Reveil profond“, beschränken und es anhand einiger kontrabass-spezifischer Apekte näher erläutern.

Scelsi verlangt die Stimmung des Kontrabasses auf G – F – A – F anstatt der normal üblichen Stimmung G – D – A – E, um die Resonanzen der leeren Saiten auszunützen. Da sich das Stück um den Ton F dreht, befindet sich dieser als leere Saite quasi in der Mitte des Instruments. Außerdem verändert sich durch eine solche Skordatur auch der Gesamtklang des Instruments. Da die zweite und vierte Saite hochgestimmt werden, ergibt sich eine höhere Gesamtspannung des Instruments, was einen klareren, brillanteren Klang mit mehr Obertönen zur Folge hat.

Dieses Prinzip der Scordatur ist übrigens für den Kontrabass durchaus nicht ungewöhnlich. Seit der Barockzeit wurden Bassinstrumente je nach Tonart-Gebrauch umgestimmt, in der Wiener Klassik gibt es beispielsweise Stimmungen auf D und Es, und im 19. Jahrhundert etablierte sich eine um einen Ton höhere Scordatur (A – E – H – FIS) als übliche Stimmung für Sololiteratur. Das hängt offenbar damit zusammen, daß man angesichts der ohnehin durch die Größe vorhandenen spieltechnischen Beschränkungen die maximale Resonanz durch die Besaitung erreichen wollte, um möglichst viele Flageolette und Leersaiten benutzen zu können.

Das Stück entwickelt sich vom Ton F in der Mittellage aus nach oben und unten hin. Dabei werden verschiedene Arten von Schwebungen durch enge Intervalle aufgebaut, die immer wieder in den Einklang F zurückfinden.

Warum ausgerechnet das F der zentrale Ton ist, hängt damit zusammen, daß Scelsi einen gut klingenden, möglichst resonanten Ton in mittlerer Lage am Instrument benutzen wollte, der durch die scordatur als Leersaite(n) verfügbar ist. Das A oder G zu verwenden, wäre möglicherweise aus instrumententechnischen Gründen problematisch gewesen, da auf diesen Tönen viele Kontrabässe einen „Wolf“ haben, d.h. Diese Schwingung trifft die Eigenschwingung des Instruments, der Ton „löscht sich selbst aus“, der Klang kann sich nicht entfalten. Wenn man das Gesamtkonzept des Stücks bedenkt, daß immer 2 Saiten gleichzeitig in engen Tonabständen klingen sollen, ergeben sich nicht so viele Möglichkeiten. Außerdem setzt die Scordatur der Tonauswahl einen relativ engen Rahmen, da das Umstimmen der Saiten nach oben natürlich nicht unbegrenzt ist (die Saiten können reißen oder das Instrument wird durch den erhöhten Druck beschädigt).

Der Puls des Stückes ist, obwohl es „klassisch“ notiert ist, metrisch nicht faßbar. Er wird irregulär (als schnelleres oder langsameres Pulsieren) erzeugt durch die Interferenzen der einzelnen Töne miteinander, durch verschiedene Geschwindigkeiten und Arten von vibrato, durch Veränderungen des Bogendrucks (Bogenvibrato) sowie durch Scordatur während des Stückes.

So ergibt sich ein zugleich statisches und lebendiges Klangbild, der Klang wird gleichsam „unterm Mikroskop“ betrachtet.

Dadurch stellt sich im Folgenden das Problem: wie notiert man eigentlich Klangfarben in einer Partitur?

Das Notenbild von „Le reveil profond“ präsentiert sich folgendermaßen: Da der Gesamtklang von zwei Saiten erzeugt wird, die gleichzeitig gestrichen werden, ist das Stück konsequent auf zwei Notenlinien notiert. Dabei liegt in der Regel der höhere Ton oben, der tiefere auf dem unteren System. Zu Beginn ist zu jeder Notenzeile auch die Saite angegeben, auf der dieser Ton erzeugt werden soll. Allerdings ist Vorsicht geboten, denn im Laufe des Stücks wechseln die Saiten, die Melodielinie wechselt vom oberen ins untere System, was jedoch nicht immer in der Partitur vermerkt ist! (z.B. T.11ff.)

Da die Saitenangaben, wie auch die übrigen Spielanweisungen, teils unvollständig, teil unklar oder widersprüchlich sind, kann man vermuten, daß sie nicht original von Scelsi stammen, sondern vom Herausgeber (Joelle Leandre?) hinzugefügt worden sein können.

Zum Aspekt der Klangfarbe findet man in der Partitur folgende Angaben:

  • die zu spielende Saite

  • Dynamik

  • spieltechnische Angaben (z.B. tasto, vibrato)

  • Ausdrucksbezeichnungen (chiaro, scuro, grattato, ovattato)

Die Angaben zur Dynamik sind dabei, sofern man sich entschließt sie ernst zu nehmen (auch hier ist nicht klar, was original ist und was nicht), stets relativ im Bezug des einen Tons zum anderen zu sehen. So soll, wenn das obere System mp notiert hat, das untere ppp, der obere Ton deutlich hervortreten. Eine absolute Realisierung der z.T. extremen Angaben ist aus spieltechnischer Sicht nicht möglich, da jeder Ton auf einem Streichinstrument a) eine bestimmte Anstrichstelle, b) eine bestimmte Bogengeschwindigkeit und c) ein bestimmtes Bogengewicht verlangt. Beim Spielen auf 2 Saiten gleichzeitig kann man lediglich dynamische Unterschiede durch Gewichtsverlagerung erzeugen, was die Differenzierungsmöglichkeiten ziemlich einschränkt. Man kann sich alternativ eine Realisierung durch zwei Spieler vorstellen…

Statt mechanisch alle Anweisungen umzusetzen, muß der Spieler also immer mit offenen Ohren vorgehen und versuchen, die klangliche Intention im jeweiligen Takt zu realisieren.

Dabei ist das Vibrato essentiell für den Charakter des ganzen Stücks. Man findet es auf neun (!) verschiedenen Arten in der Partitur notiert.

Die grundlegende Angabe von Vibrato ist eine Wellenlinie über den zu vibrierenden Noten.

Non vibrato wird generell nicht notiert, an einigen wenigen Stellen aber dennoch markiert (meiner Meinung nach nicht original…). Zusätzlich werden folgende Angaben gemacht: vibrato stretto (schnelles Vibrato), vibrato irregolare (unregelmäßiges Vibrato), osillato (oszillierend), molto vibrato (viel Vibrato), „effleurer le sillet“ (quasi-vibrato auf dem Obersattel, deutlich eine Herausgeberangabe), vibratissimo, vibrato lentissimo (sehr langsames Vibrato)

Angesichts so vieler, nicht konsequent eingesetzter Begriffe stellt sich wiederum dringend die Frage: Was ist vom Herausgeber, was von Scelsi? Wenn man dieses mit weiteren Stücken von Scelsi vergleicht, wird man immer wieder das grafisch als Wellenlinie notierte Vibrato als Angabe finden. Ich gehe davon aus, daß an diesen so bezeichneten Stellen Vibrato unbedingt notwendig ist, die weiteren Angaben (speziell das nur sporadisch auftauchende non vibrato) sind für mein Dafürhalten „Interpretationssache“. Es bleibt natürlich die Frage zu klären, WIE das Vibrato in diesem Stück klingen soll. Ein Vibrato mit kleiner Amplitude würde den Klangcharakter nur unwesentlich beeinflussen. Ein „klassisches“ Vibrato verbunden mit einem „Aufblühen“ des Tons, wäre ebenfalls fehl am Platz. Vibrato sollte als deutlich wahrnehmbare Schwebung ausgeführt werden, als unterschiedliche Farbe im Kontrast zum folgenden non Vibrato.

Zwei weitere spieltechnische Aspekte seien hier noch erwähnt, die ebenfalls ungewöhnlich sind. Das wäre zum Einen die Scordatur während des Stücks, die im Mittelteil passiert (T.23ff.). Sie wird auf zwei Arten angewandt: als schnelles unhörbares Umstimmen während einer Pause (T.23) sowie als hörbares Glissando während des Spielens (T.24f.). Die Herausforderung an den Spieler liegt nicht nur darin, vierteltongenau beim Umstimmen die neue Tonhöhe zu treffen, sondern auch trotz dieser Aktionen den kontinuierlichen Gesamtklang zu wahren.

Im Grunde ist „Le Reveil Profond“ als scheinbar anfangs- und endloses in sich changierendes Klangband ein Stück, für das man sich als Streicher einen niemals aufhörenden Bogen wünscht. Doch gerade das Paradoxon von unaufhörlicher Melodie angesichts ständiger Bogenwechsel, von gleichsam körperlosem objekthaftem Klang angesichts der technischen Schwierigkeiten der Umsetzung am Kontrabass stellt den Reiz und die Herausforderung dar, die dieses Stück so besonders macht.

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